17. April 2018
Zurück zum Teil 1, in dem die Verweise [1-19] zu finden sind. Auch im zweiten Teil, in dem es wirklich um das Gespräch geht, habe ich viele Verweise angefügt, die aus den Aussagen hervorgehen.
Auflistung der Aussagen von Prof. Ulrich Kutschera - Teil 1
Der erste Teil des Gesprächs zwischen Beatrix von Storch und Prof. Ulrich Kutschera [4].
Grundsätzliches
- Die Universitätslandschaften in Deutschland und den USA
Prof. Ulrich Kutschera kennt durch Lehraufträge in Kassel (Hessen) und Stanford CA beide Universitätskulturen gut. In den USA gibt es viel mehr Wettbewerb, aber dadurch auch ausgeprägtere Unterschiede zwischen den Universitäten. Dazu wird in den USA die Ausrichtung mehr auf Forschung und Publikationen gelegt.
- Austritt aus der Giordano-Bruno-Stiftung [20]
Diese Stiftung wurde 2004 zur Förderung des evolutionären Humanismus gegründet. Gleichzeitig wird gegenüber Religionen eine kritische Haltung vertreten. Gründer ist der Unternehmer Herbert Steffen [21] - Steffen Möbel - der auch schon den Kirchenkritiker und Autor Karlheinz Deschner (1924-2014) [22] förderte. Ulrich Kutschera ist nicht religiös und der Ansicht, dass glauben nicht wissen ist und wissen nicht glauben. Kutschera begründet seinen Austritt mit anderen Schwerpunkten in seiner Tätigkeit.
Bezogen auf die Wissenschaft bin ich mit ihm völlig einig. Dieses Gebiet muss durch die Leistung der menschlichen Vernunft und des Verstandes geprägt werden, nicht durch Glaubensvorstellungen. Ulrich Kutschera ist der Ansicht, dass im Bereich der Gendertheorie noch zu viel mit Glauben und wohl auch Wunschdenken, dafür weniger mit erarbeiteten, echten Erkenntnissen gearbeitet wird.
Die Gendertheorie
- Warum hat sich Prof. Kutschera überhaupt mit der Gendertheorie beschäftigt?
Jahrzehntelange Beschäftigung mit dem Liebesleben von Ringelwürmern [23], die eine Art urtümliches Wesen für sehr viele Spezies bilden, unter anderem auch für Säugetiere und damit auch für den Menschen. Sie sind Modellorganismen. Für Menschen, die mit Biologie, Chemie und Physik kaum etwas zu tun haben, mag das vielleicht etwas seltsam klingen. Nicht für diejenigen, die sich in diesen Wissenschaften auskennen, die wissen, dass es Gang und Gäbe ist, mit Modellen zu arbeiten.
Dazu gibt es in der Biologie gültige Definitionen für die Worte Sex und Gender.
- Sex wurde vor mehr als 150 Jahren durch den Botaniker und Medizinhistoriker August Wilhelm Henschel (1790-1856) [24] als Zellenvereinigung definiert, die Fusion einer Spermien- mit einer Eizelle, die Befruchtung oder auch die Gametenkopulation (Gameten = Geschlechtszellen, haploid, d. h. nur mit einem halben Chromosomensatz ausgestattet). Sex ist als der gelungene Akt der Fortpflanzung definiert.
- Gender bedeutet, dass sich männliche und weibliche Geschlechtstiere herausbilden.
In der geisteswissenschaftlichen Gendertheorie werden dieselben Begriffe Sex und Gender wieder verwendet, es sind zum Teil Neudefinitionen. Sie haben eine andere Wurzel und dazu wird vonseiten dieser Theorien die Biologie teilweise ignoriert oder sogar bekämpft. Weil keine neuen Begriffe genommen wurden, sondern bereits von der Biologie definierte zweckentfremdet wurden, sah sich Ulrich Kutschera zu Stellungnahmen gezwungen oder mindestens herausgefordert. Es gab Interviews unter anderem mit dem Spiegel [25] und Focus [26] im Spätsommer 2015, was wiederum die Verteidiger und Unterstützer der Gendertheorie auf den Plan gerufen hat.
- Evolutionsbiologische Erklärung menschlichen Verhaltens?
Gemäss Ulrich Kutschera kann der bei weitem überwiegende Teil menschlichen Verhaltens evolutionsbiologisch erklären. Das Genom stellt ein Archiv, eine Sammlung von Erfahrungen dar, die mit jeder Generation wächst. Der Handlungsrahmen wird von der Biologie vorgegeben, auch wenn es zu technischen Fortschritten kommt.
- Gendertheoretiker sagen, dass der Mensch im Wesentlichen durch Kultur, Erziehung und Gewohnheit geprägt werden
Dass die Kultur definitiv Einfluss auf die Menschen ausübt, ist bewiesen, auch bei Tieren wie etwa den Schimpansen gibt es Kultur. Über die letzten 50 Jahre wurden etwa 14'000 Eigenschaften des Menschen untersucht. Alle davon sind erblich, z. B. sind im Schnitt Männer 8 % grösser als Frauen, ein eindeutiger Unterschied, dazu offenbar kulturunabhängig. Durch die Erblichkeit ist nahezu alles Biologie, je nach Eigenschaft liegt sie zwischen 10 und 90 % (eine sehr weite Spanne, aber immerhin konnte man das oft nachweisen - Anm.). Intelligenz ist auch erblich, zu etwa 50 % [27], gemäss der Veröffentlichung einer Studie des King's College in London von 2017.
Die sozialkonstruktivistische These, nach der ein Mensch letztlich ein Produkt der Gesellschaft sei, weist Prof. Kutschera strikt von sich. Es sprechen zu viele nachgewiesene Erkenntnisse aus der Biologie dagegen. Die Biologie ist das Zentrum des Ganzen, die Kultur eine Modifikation, die Hierarchie ist klar.
- Was ist Biologismus, ein Vorwurf, der an Biologen wie Ulrich Kutschera gerichtet wird
Biologismus ist ein Oxymoron, der auf die Biologie als ergebnisoffene Naturwissenschaft unmöglich zutreffen kann. Die Endung -ismus steht stets für eine Doktrin, eine Ideologie, deren Inhalt nicht wissenschaftlich begründbar ist.
Ulrich Kutschera distanziert sich auch entschieden von Karl Marx (1818-1883) [29], den er als Schriftsteller bezeichnet. Weil er die Menschen biologisch für hochgradig ungleich haltet, aber die Gleichheit vor dem Gesetz wie sie heute verwirklicht sein sollte befürwortet. Eine klassenlose Gesellschaft wird es aufgrund der biologischen Voraussetzungen nie geben können. Charles Darwin (1809-1882) [30], der zur selben Zeit wie Marx lebte und als Vater der Evolutionstheorie gilt, ging auf Distanz zu Marx. Als Kritik lässt Kutschera zu, wenn man ihm vorwirft, die Dinge zu sehr aus seiner biologischen Perspektive zu sehen.
- Wo liegt der Kern an der scharfen Kritik gegenüber Kutscheras Ansichten?
Die Biologie ist wie die Chemie, Physik und Geologie ein sehr komplexes, mittlerweile auch sehr umfangreich gewordenes Feld. Von ausserhalb kann man kaum Schritt halten, wenn in einer solchen Disziplin gegen 100'000 Publikationen pro Jahr erscheinen. Auch das Grundwissen, welches Prof. Kutschera in seinen an die Allgemeinheit gerichteten Büchern voraussetzt, ist nicht nur das selbstverständlichste Allgemeinwissen, sondern geht darüber hinaus. Es scheint bei einer nicht vernachlässigbaren Zahl von Menschen ein Verständnisproblem (möglicherweise auch ein Interessensproblem - Anm.) zu geben.
Anmerkung: Für Interessierte, die ihre Kenntnisse in Biologie schärfen möchten, gibt es das Buch Campbell - Essential Biology in der 4. Auflage von 2013 bei archive.org zum Download [31]. Es ist unter opensource gelistet. Wie immer gebe ich solche Links auf eigene Gefahr und Verantwortung an. Da die Webseite archive.org sehr beliebt und gross geworden ist und Scans vieler Bibliotheken beinhaltet, halte ich das für einigermassen sicher. Wer gerne Buchautoren und Verlage fördert und nicht auf die Haptik eines solchen Buches verzichten will, darf gerne ein Exemplar kaufen. Ich selbst kenne dieses Buch nicht näher, ich besitze lediglich eine Ausgabe des grossen Campbell Biologie-Buches.
Auflistung der Aussagen von Prof. Ulrich Kutschera - Teil 2
Der zweite Teil des Gesprächs zwischen Beatrix von Storch und Prof. Ulrich Kutschera [4].
Hintergründe der Gendertheorie und die Antworten der Biologie
- Buch Das Gender-Paradoxon - Mann und Frau als evaluierte Menschentypen, 2018 neu erschienen [6]. Dazu gehört direkt auch die Diskussion des Wortes Gender in seinem politischen Sinn.
In jeder Wissenschaft, auch die Gendertheorie masst sich an, eine solche zu sein, ist das Studium der Quellen essentiell. In der Biologie geht man oft auf den bereits erwähnten Charles Darwin [30] zurück, in der Gendertheorie ist der ähnlich wichtige Kopf John Money (1921-2006) [32]. Dieser war klinischer Psychologe und zweifelsohne genial. Seine Absicht war es, eine These aus den 1950er Jahren zu beweisen. Nämlich, dass Menschen geschlechtsneutral zur Welt kämen und dann durch Erziehung zu Mädchen und Jungen gemacht werden und dass das auch rückführbar sei. Ein grausames Kastrationsexperiment an Zwillingen führte nicht dazu, dass sich der Kastrat zum Mädchen erziehen liess. Sondern er fühlte sich als Junge, schlussendlich schieden die Zwillinge im jungen Alter freiwillig aus dem Leben.
- Studie aus dem Jahr 2014 zur geschlechtlichen Prägung des Gehirns
Das Gehirn eines Menschen wird, das ist eine neue, gesicherte Erkenntnis, vor der Geburt geschlechtlich geprägt [33]. Man kommt bereits als weibliches oder männliches Wesen zur Welt. Das gilt bereits ab der 6. Woche der Schwangerschaft. Das gilt für etwa 99 % aller Menschen.
Bei etwa 1 % gibt es vorgeburtliche Probleme und für die gelten die eben erwähnten Erkenntnisse nicht vollständig.
- Es ist eine Tatsache, dass sich die Gender Studies ausgebreitet haben. Was ist die Hauptkritik an diesen?
- Absichtliche Ignoranz gegenüber gesicherten Erkenntnissen aus der Biologie. Prof. Kutschera spricht offen von einer Biophobie, einer Aversion gegen die Naturwissenschaft Biologie, die bei den Gendertheoretikern offenbar vorhanden ist.
- Humanwissenschaft zu betreiben ist nicht unter Vernachlässigung der extrem einflussreichen Biologie möglich.
Die Gendertheoretiker verwenden John Money's Definition von Gender als psycho-soziales, subjektiv gefühltes Geschlecht.
Die angesprochenen 1 % der Menschheit, die anders sind, gibt es unter Frauen wie Männern, es gibt auch Intersexmenschen [34] (mit einer Häufigkeit von etwa 0,1 % ist das immerhin jeder 1'000ste Mensch - Anm.). Bei diesen ist die geschlechtliche Identität (englisch Gender Identity) nicht so eindeutig, wie etwa unter den beiden Gesprächspartnern. Biologisch gesehen spricht man von nicht normalen Menschen, ein Begriff, der in der alltäglichen Welt nicht verwendet werden sollte, da er eine negative Unterscheidung impliziert. Prof. Kutschera ist entschieden dagegen, solche Menschen in irgendeiner Weise zu benachteiligen, aber das geht am besten, wenn man biologisch eben nicht ganz normalen Voraussetzungen wertschätzt. Der Fachbegriff für eine nicht im normalen Rahmen verlaufende Entwicklung lautet Entwicklungsstörung (englisch developmental disorder) [35]. Der einzelne Mensch kann gerade im vorgeburtlichen und kleinkindlichen Stadium dazu nichts beitragen, deshalb ist das auch nicht zu bewerten.
Gleichberechtigung von Mann und Frau
- Die Gleichberechtigung der aus der Biologie bekannten Geschlechter wird als Teil des Gender-Mainstreamings [36] zu verkaufen versucht. Worin liegt der Unterschied zwischen Gleichberechtigung und Gleichstellung?
Gleichberechtigung
Der Unterschied ist riesig. 1945 wurde in San Francisco in einer UN-Präambel die Gleichberechtigung von Mann und Frau beschlossen. 1958 wurde das ins Deutsche Grundgesetz übernommen. Prof. Kutschera bezeichnet sich selber als entschiedenen Unterstützer dieser Tatsache, sogar als knallharten und konsequenten Verfechter davon.
Wenn Mädchen sich ausserhalb von klassischen Frauenberufen bewegen wollen, gehören sie darin unterstützt, aber die Eignung muss die Frau trotzdem mitbringen. Es dürfen deswegen nicht Frauen bevorzugt oder Männer benachteiligt werden. Gleichberechtigung heisst geschlechtsunabhängig gleiche Rechte.
Gleichstellung
Gleichstellung gibt es etwa bei zwittrigen Wesen wie Regenwürmern. Diese befruchten sich gegenseitig und erleben einen gewalttätigen Sexakt, aus dem sie verletzt hervorgehen. Bei zweigeschlechtlichen Wesen geht das nicht, da es die Funktionen männlich und weiblich gibt. Bei den Säugetieren unterscheiden sich Männchen und Weibchen meist stark. Menschen im Alter von 20 Jahren unterscheiden sich sehr stark, eine Frau in diesem Alter hat in der Regel einen nahezu doppelt so hohen Körperfettanteil als Männer, diese haben am Oberkörper nicht selten doppelt so viel Muskelmasse als gleichaltrige Frauen. Dazu gibt es eindeutig feststellbare Unterschiede in der Struktur des Gehirns und der Psyche. Die Unterschiede sind gross. Anhand dieser Unterschiede wirkt eine Vorstellung von Gleichstellung weithergeholt.
Aus der Erkenntnis dieser Unterschiede folgt auch die Wahl des Untertitels Mann und Frau als evaluierte Menschentypen. Evaluiert bedeutet aus der Evolution entstandene, sich drastisch voneinander unterscheidende Menschentypen. Prof. Kutschera gibt zu, diesen etwas provokativ gewählt zu haben, die Beweisführung auf 400 Seiten sollte ausführlich genug sein.
[4] Das ganze Bild: Beatrix von Storch trifft Prof. Ulrich Kutschera - 2 Teile. Freie Welt TV YouTube Kanal, 26. März 2018
[6] Buchreihe Science and Religion. Naturwissenschaft und Glaube. Herausgegeben von Prof. Dr. Ulrich Kutschera und Prof. Dr. Uwe Hoßfeld, Lit Verlag, seit 2007 http://www.lit-verlag.de/reihe/scare
Das Gender-Paradoxon - Mann und Frau als evaluierte Menschentypen. Ulrich Kutschera, 2018, Lit Verlag https://www.amazon.de/dp/3643132972/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_yIr1Ab8HN6QNG
[20] https://de.wikipedia.org/wiki/Giordano-Bruno-Stiftung
[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Steffen
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Karlheinz_Deschner
[23] https://de.wikipedia.org/wiki/Ringelw%C3%BCrmer
[24] https://de.wikipedia.org/wiki/August_Wilhelm_Henschel
[25] Professor gegen Genderforschung "Jung, attraktiv, muss gut kochen können". Spiegel.de, 04. September 2015, von Armin Himmelrath http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/universitaet-kassel-professor-ulrich-kutschera-zieht-ueber-genderforschung-her-a-1050888.html
[26] Wissen und Gesundheit - "Gender ist Nonsens!" Focus.de und Focus 38/2015, 12. September 2015 https://www.focus.de/gesundheit/news/wissen-und-gesundheit-gender-ist-nonsens_id_4940279.html
[27] https://en.wikipedia.org/wiki/Heritability_of_IQ
Ayorech, Ziada (July 17, 2017). "Genetic Influence on Intergenerational Educational Attainment". Psychological Science. doi:10.1177/0956797617707270 http://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0956797617707270 PDF kostenfrei verfügbar: http://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/0956797617707270
[28] https://de.wikipedia.org/wiki/Biologismus
[29] https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Marx
https://en.wikipedia.org/wiki/Karl_Marx
[30] https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Darwin
https://en.wikipedia.org/wiki/Charles_Darwin
[31] Essential Biology With Physiology. Campbell, Eric J. Simon, Jean L. Dickey, Jane B. Reece, 4th Edition 2013, Pearson Education Inc. https://archive.org/details/EssentialBiologyWithPhysiologySimonCampbell4thEdition2013
[32] https://de.wikipedia.org/wiki/John_Money
https://en.wikipedia.org/wiki/John_Money
[33] Gender differences in prenatal brain development. King's College London, 04. Februar 2015 https://www.kcl.ac.uk/ioppn/news/records/2015/February/Gender-differences-in-prenatal-brain-development.aspx
Original Paper: Spiers, H. et al. ‘Methylomic trajectories across human fetal brain development’, Genome Research DOI: http://www.genome.org/cgi/doi/10.1101/gr.180273.114. PDF kostenfrei verfügbar: https://genome.cshlp.org/content/early/2015/01/27/gr.180273.114.full.pdf+html
[34] https://de.wikipedia.org/wiki/Intersexualit%C3%A4t
https://en.wikipedia.org/wiki/Intersex
[35] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_psychischen_und_Verhaltensst%C3%B6rungen_nach_ICD-10#F80%E2%80%93F89_Entwicklungsst%C3%B6rungen
https://en.wikipedia.org/wiki/ICD-10_Chapter_V:_Mental_and_behavioural_disorders
[36] https://de.wikipedia.org/wiki/Gender-Mainstreaming
https://en.wikipedia.org/wiki/Gender_mainstreaming
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