Heute möchte ich an meinem letzten Beitrag
@zeitgedanken/persoenlichkeitsbildung-wo-in-den-schulen
anknüpfen.
In den nächsten Beitragen möchte ich die Analyse der Schulaktivitäten noch etwas vertiefen, die zu den oben beschriebenen Erscheinungen geführt haben.
So mein Schlusssatz.
Doch ohne eine Betrachtung der Lernenden, deretwegen ja Schule veranstaltet wird, geht es auch nicht. Welche Situationen wir da heute vorfinden, sind in vielen Erhebungen veröffentlicht worden. Diese Erhebungen haben Unmengen an Befunden hervorgebracht und dem Tageslicht zu Verfügung gestellt, das es unmöglich ist, alle zu benennen. Greifen wir deshalb nur die Aussagekräftigsten heraus.
Schon im Jahre 1978 diagnostizierte Herrmann Rosemann an Schulkindern:
“Aggressives Verhalten gegenüber Gegenständen und Gereiztheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen sind gerade die Norm.“
Er verweist auf Untersuchungen, die an Größstadtschulen vorgenommen wurden. Denen zufolge sind nur noch 22% aller Schulkinder ganz ohne eine psychische Störung.
Er schreibt weiter:
“Verwahrlosung, Vernachlässigung und Gewalt bei den heranwachsenden sind an der Tagesordnung. Die Schuljugend, vor allem in den Großstädten, befinden sich in einem „fortschreitenden Prozess der Persönlichkeitsauflösung“, ein Prozess, der sich äußert im hemmungslosen „Konsum von Drogen und Bergen von Süßigkeiten“. Ein großer Teil der Schulkinder klage über unruhigen Schlaf, über Magen- und Kopfschmerzen. Immer mehr Schüler nehmen sich das Leben. „Die Schule hat die Aufgabe, fürs leben zu rüsten, aber so mancher Schüler treibt sie in den Freitod, macht sie zum Trinker, zum Drogensüchtigen, für den ohne ´Schnellmacher´oder ´Stoßdämpfer´ nichts mehr geht.
2003 bemerkt der Hochschulpädagoge Hartmut von Hentig:
Auch die Nobelinstitute bleiben von der Zeitkrankheit nicht verschont
Die Heranwachsenden aus Familien in bevorzugten Wohnanlagen und mit offenbar besten Bildungsvoraussetzungen sind in ihrem Verhalten „gravierend auffällig
Beobachtet der Arzt und Psychiater Michael Winterhoff 2009.
2013 diagnostiziert Winterhoff:
ein internationales Phänomen, das vor allem in den Wohlstandstaaten zu beobachten sei.
2008 berichtet die Lehrerin und Autorin Ursula Rogg in ihrem Buch „Nord Neuköln“ die an dem Berliner Gymnasium „Nord Neuköln“ selbst tätig war, dass man nicht unbedingt „Nord Neuköln“ inspizieren muss um das Chaos das dort herrscht zu erkennen, dass findet sich an tausend anderen Schulen ebenfalls. Diese haben Mühe sich Tag für Tag so zu organisieren, dass sie sich überhaupt noch so nennen können: „Schulen“???
Es erscheint mir jedoch so, als dass diese Zeiterscheinung nur bei einzelnen Psychologen, Pädagogen und Psychiater bekannt ist. Denn die meisten Medien halten sich auffallend zurück. Ab und zu erscheint mal was, aber eher unauffällig. Das mag vielleicht daran liegen, das psychische Störungen lange Zeit verborgen bleiben, ja sogar weggesteckt werden.
Ein Seelenheil bleibt bekanntlich solange unauffällig, bis eine Grenzsituation dem bisher gewohnten Leben des Betroffenen eine Zäsur setzt, ihn „aus der Bahn“ wirft.
schreibt Dr. Dietrich Eckardt 2017
Es ist fast schon typisch für das höhere Schulwesen, dass die erste Bildungsreise der Gymnasien- Abschlussklassen nach deren „Reifeprüfung“ eher zum Komasuff an die aus dem Boden gestampften Partymeilen des Südens, führt, als zu den Denkmälern alter Kulturen.
Es war schon bei unserem Sohn ein Wunder, dass die Abschlussfahrt nach Rom führte und nicht nach „Malle“. Die Abstimmung war knapp, aber Rom hatte ja was Komasuff betrifft wenigstens für die unterlegene Partei eine diesbezügliche Reizvariante, was dann auch den Weg nach Rom dafür erträglich machte, wie mir berichtet wurde. Die Kultstätten Roms hatten demnach auch nur noch 20% der Reisenden wirklich gesehen, der Rest lag am Strand zum Auskurieren der anstrengenden Nächte. Damit endeten wohl die ersten Schritte in die Freiheit nicht vor Sangria-Eimern aber Rom hat auch seine eigene Suff-Tradition.
Aber auch vorher schon, während der Schulzeit, scheint diese Sehnsucht einen erheblichen Grad an Intensität erreicht zu haben.
Bereits vor Jahrzehnten ergaben Erhebungen des Soziologen Jasinsky:
“An Hamburger Schulen ist jeder dritte Schüler und jede fünfte Schülerin von der 8.Klasse aufwärts mindestens einmal in zwei Monaten volltrunken. Etwa 3000 Schüler befinden sich allein in Hamburger Gebiet mehr als 5 mal binnen 2 Monaten im Vollrausch“.
Zitiert nach dem Buch des Kinder- und Jugendpsychologen Herrmann Rosemann 1978
Und wie sieht es mit Drogen aus? Laut einer Studie des Bundeskriminalamts ist
“die Wahrscheinlichkeit, während einer Schulzeit drogenabhängig zu werden… beinahe größer als es nicht zu werden.“
schreibt Jan Eder 2007.
Soviel mal zu den Bedürfnissen oder (Nöten????) der Beschulten.
Nun noch ein paar Worte zum seelischen Entwicklungsstand aus der sogenannten „Psychostruktur“. Wie sieht es da aus?
“Dysalkulie, Legasthenie oder ADHS sind die absoluten Chartstürmer in den Hitlisten der Kinderkrankheiten“,
schreibt Michael Winterhoff 2009.
“30% der Kinder sind in Behandlung: Ergotherapie, Logopädie, Psychotherapie“
Ist im Spiegel 26/2013 zu lesen.
Viele der anerkannten Fachleute glauben, dass nur ein Ritalin-Kind in Schulen einigermaßen auf Spur gebracht werden kann.
(Die Droge Ritalin wird den Kindern zur Dämpfung der sog. „Hyperaktivität“ (?????) verabreicht.)
Manche Kinder entwickeln sich „zu kleinen Monstern und Tyrannen.“
Amokläufer und Selbstmörder seien nur die
“Spitze des Berges, dessen Ausmaß bisher niemand so recht einzuschätzen vermag“
schreibt Winterhoff 2013.
Heinrich Kuppfer sieht 1980 im Schülerselbstmord eine
“Chiffre der Erziehungsverweigerung“.
Was einen Schluss meinerseits zulässt, je länger sich Heranwachsende dem Schulleben ausgeliefert fühlen, desto heftiger fallen die Gegenreaktionen aus. Druck erzeugt Gegendruck, sagt der Physiker.
Das bestätigt indirekt auch der Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer, den der Spiegel (39/2009) zitiert,
Gewaltexplosionen finden wir vor allem an weiterführenden Schulen“.
Hinter diesem Phänomen
steckt ein strukturelles Problem
mutmaßt Heitmeyer. Wohl nicht zu Unrecht. Niemand wird über nacht zum Amokläufer. Es ist das Ende einer langen Kette von unglücklichen Umständen und frustrierenden Ereignissen.
Die Hilflosigkeit der Schulverwaltungen und Schulleitungen dieses Phänomen gegenüber dokumentiert sich, wie könnte es anders sein, in den angedachten oder bereits ergriffenen Gegenmaßnahmen: Allenthalben baut man spezielle Warnanlagen in den Schulgebäuden ein (vielleicht wäre, satirisch gemeint, ein Elektrostacheldraht noch zu ergänzen), organisiert Alarmübungen, gründet „Expertenkreise“ und setzt sich forschend in finnische und schwedische Klassenzimmer, wo es offenbar etwas weniger chaotisch zugeht (schreibt auch von Hentig 2007 und Rogg 2009).
Und dann wird der Schuldige schnell gefunden: „Das Fernsehen ist schuld“, oder die Spieleindustrie“!
Wer angesichts der Gewaltakte an Schulen jene Gewalt, die in Kino- und TV-Filmen oder Spielkonsolen öffentlich vorgeführt und schnell mit dem Ruf bei der Hand ist: „Das Fernsehen ist schuld“, muss erklären, warum diejenigen, die den letzten Weltkrieg als Kinder und Jugendliche noch voll bewusst miterlebt, also eine bisher nie dagewesene Zusammenballung von Gewalt und Terror am eigenen Leibe erfahren haben, die zudem vielfach mangelhaft beschult aufwuchsen, eine ausgesprochene Aversion gegen Gewalt entwickelten und beim Wiederaufbau des Zerstörten eine Kompetenz und Professionalität erwiesen, die heute ihresgleichen sucht.
Das gewaltsame Aufbegehren der Heranwachsenden gegen die Schulwelt und innerhalb der Schulwelt mag auf Einzelfälle beschränkt sein. Auch die Dropouts, also die an der Schule total gescheiterten, fallen nicht sonderlich ins Gewicht. Aber niemand wird die Augen davor verschließen können, dass bei den sogenannten „abendländischen Kulturnationen“ seelische Störungen bei jungen Leuten eher die Regel als die Ausnahme sind. Solche Störungen bleiben, zunmindest auf den ersten Blick, in vielen Fällen unauffällig. Sie sind auch nicht immer der Schule anzulasten.
Der „normale“ Schüler (???) der allgemeinbindenden Schule ist halbwegs angepasst (persönlichkeitsentwickelt?).
Er schlurft mit schwer bepacktem Ranzen mehr oder weniger lustlos zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels. Von dort aus wird er in Richtung Schule gekarrt. Im Klassenraum angelangt, harrt er mehr mies gelaunt als erwartungsvoll der Dinge, die da auf ihn zukommen. Freude bereitet ihm jede Form der Ablenkung, jede Tollpatschigkeit des Lehrers oder seiner Mitschüler. Nach solchen „erfreulichen“ Ereignissen (dafür wird man dann meistens auch noch gescholten) sinkt er wieder still und hoffnungslos in sich zusammen. Aus der Dumpfheit des Schulalltags erwacht er in der Regel nur, wenn etwas Unerwartetes geschieht, etwas, dass mit Unterricht und Lernen nichts zu tun hat. Voller Hoffnung blickt er aufs nächste Wochenende, wo zumindest die Aussicht besteht, dass etwas Neues und Interessantes auf ihn zukommt, selbst wenn es nur eine Party mit hipper Musik, wenig Bewegung und viel Alkohol ist.
Neben den Duckmäusern und Muckern gibt es natürlich auch die Überflieger der Schulwelt, die mit voller Aufmerksamkeit dabei sind, stets die Benotung und Zeugniszensuren im Blick. Man will sich ja durch die Schule seine brufskarriere als künftiger Zahnarzt oder Staranwalt nicht vermasseln lassen.
Fazit: Die Schule bietet die unterschiedlichsten Möglichkeiten, sich sein Seelenleben verformen zu lassen. Sogar den freien Entschluss dazu lässt sie zu.
So nun noch ein Blick zu den Schullehrern.
Nicht nur die der Schulwelt anvertrauten Kinder und Jugendlichen „laufen aus dem Ruder“. Auch die Schullehrer tun es. Die Insidern Ursula Rogg beschreibt in ihrer Schulalltags-Dokumentation die Situation der Schullehrer sehr treffend und verständnisvoll:
Viele sind mit der Situation an der Schule vollkommen überfordert. „Nach zwei Jahren spürte ich gespenstische Anfänge dessen, was viele Kollegen über Jahre zu bandscheibengeplagten Misanthropen, Alkoholikern und Berufsphobikern gemacht hatte, ein physisch und psychisch kaputtes Personal, in das nichts mehr reingeht, aus dem nichts mehr rauskommt.“ Die Lehrer „haben keine Kraft mehr, zu sprechen… Die meisten von ihnen haben Ringe unter den Augen und kämpfen; jeder und jede auf ihre Weise hinter der verschlossenen Tür des Klassenzimmers. Manche werden dabei krank, manche seltsam und manche verzweifeln… Ihre Nichtidentifikation geht bis zum Selbsthass… Band von Neurotikern, pädagogische Frontarbeiter, alt geworden seid ihr und täglich verliert ihr euer Gesicht, jahrzehntelang.“ Zeitweilig fehlt ein Drittel des Kollegiums. (Hört man ja immer wieder, es scheint an Lehrpersonal zu mangeln. ????!!!!)
An der Lehrerrolle der Schule stimmt offenbar Grundsätzliches nicht.
sagt Ursula Rogg:
“Wie soll ich mir erklären, dass ich nach einem Schulalltag, an dem ich drei oder vier Stunden Unterricht hatte, vollkommen erschossen… nach hause kam“.
Und sie kommt zu dem Schluss:
“das System missbraucht uns, indem es sich der Akzeptanz des Scheiterns, das sich hier Tag für Tag abzeichnet, (verschließt).“
Die Schule traumatisiert also Schüler und Lehrer gleichermaßen. Sie scheint zu einer Stätte seelischer Verelendung geworden zu sein.
“Die Entwicklung droht uns um die Ohren zu fliegen“,
Zitiert der Spiegel (14/2009) einen Psychologen.
Wie auch immer, an der Schule leiden mittlerweile alle Beteiligten, Schüler, Lehrer, Eltern und Geldgeber (Nettosteuerzahler).
Die Schule hat sich zu einem pädagogischen Ungeheuer entwickelt. Für die Betroffenen zeichnet sich keine Lösung ab. Niemandem scheint wirklich klar zu sein, worin die Missstände im Schulbetrieb begründet sind. Die immer hektischer werdenden scheinoptimistischen „Reform“- Aktivitäten verschleiern nur, dass man aus der Sackgasse Bildungsmisere nicht herausfindet.
“Die Ratlosigkeit der Laien- und Amtspädagogen ist so groß, dass sie… sich schon wohler zu fühlen meinen, wenn das Ungeheuer in die Fesseln der Fachsprache gelegt ist“
Schreibt Hartmut von Hentig 2003.
“Das Denken muss die Richtung wechseln!“
Fordert desshalb der Psychiater und Jugendpsychologe Michael Winterhoff (2009).
Angesichts der Fakten muss man ihm natürlich zustimmen, obwohl er selbst offenbar einen solchen Richtungswechsel scheut, weil er an der heutigen Form der Persönlichkeitsbildung grundsätzlich festhalten möchte.
Angesichts seiner Karriere verständlich. Kritisieren ja, aber ändern geht an die eigene Tasche, also besser davon ablassen, zu viel steht für einen selbst auf dem Spiel.
Nun denke ich, ich habe ein grobes Bild zeichnen können, um mich in den nächsten Beiträgen zur Ursache vorzuarbeiten.
Noch ein schönes Restpfingsten
Euer Zeitgedanken.