Das dunkle digitale Zeitalter – Ein Appell an die Vernunft

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Ein dunkles Zeitalter ist eines in dem man sich kollektiv mit schlechten Erinnerungen zurück erinnert. Meist betrifft dies nicht nur eine Region oder eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft, sondern es gibt einen Konsenz als Menschheit darüber, dass es wirklich ein finsteres Zeitalter war.

Zumeist wird einem hier vermutlich der zweite Weltkrieg in den Sinn kommen, der große Teile der Welt in Schutt und Asche gelegt hat und nahezu überall sehr viel Leid über die Menschen aller Völker gebracht hat. Sei es, dass man sein Leben, sein Hab und Gut oder eben auch nur einen Menschen verloren hat, der einem am Herzen lag. Und obwohl diese Zeit sehr gut dokumentiert ist, da wir als Menschen eben anfingen Kameras zu bauen, eine Form von Journalismus hatten und auch aus vielen privaten Vermögen Bild- und Textmaterial bereit gestellt wurde, sollte man sich vor Augen führen, was wir an Werken als Menschheit vermutlich durch all die Zerstörung verloren haben. Wieviele Texte vielleicht nie verfasst und zu Wort und Papier gebracht wurden.

Im weiteren Sinne wird oft das frühe Mittelalter als solches aufgeführt. Einer Zeit in der die katholische Kirche als geistliche Macht die Gesellschaft in einem festen Würgegriff hielt und zusammen mit weltlicher Macht die Menschen in ihrer Lebensweise und ihrem Denken schwer prägte. Dies war insbesondere sehr leicht, da nur ein kleiner Teil der Bevölkerung gebildet im Lesen und Schreiben waren. Verständlicherweise waren es daher vorwiegend der Adel und eben auch die Klerik über dessen Leben wir mehr wissen als eben über den Bauern. Den welche Nöte und Gedanken ihn täglich im Kopf umherkreisten ist nicht einfach nachzuvollziehen und für immer verloren.

Da Kirche und Adel aber die Ettikette wahren müssten, sind viele Texte eben auch immer in einer besonderen Form geschönt. Man denke nur mal an die christlichen Missionare, die ganze amerikanische Hochkulturen zu Barbaren erhob und ihnen teils abenteuerliche Geschichten andichteten. Erst durch die moderne Forschung und präziser Quellanalyse können einige dieser Teile nach und nach korrigiert werden. Was für ein Fundschatz hätten wir wohl heute, hätten die Missionare nicht die Werke der amerikanischen Urvölker vernichtet und eingeschmolzen. Was für ein Wissen, Lehren und philosophische Überlegungen hätten sich uns offenbart?

Und nur um ein Haar hätten wir als „christliches Abendland“ auch unsere eigene Kultur verloren und wären durch die eigenen Leute von ihr beraubt worden. Was hätten wir wohl über die klassische Antike über die Welt der griechischen Mathematiker und Philosophen gewusst. Mag noch soviele davon falsch sein, vielleicht würden wir immer noch nicht wissen, was ein „Atom“ sein mag. Während man in römischen Quellen teilweise Passagen findet, die einen schmunzeln lassen („Anwohner beschweren sich, dass bei öffentlichen Festen die Fassaden der Häuser als Urinale missbraucht werden!“), erwies sich die römische Bürokatrie zum Niederschreiben vieler Sachverhalte als warer segen.

Und so war es in diesem dunkeln Zeitalter vorwiegend die islamischen Staaten, die unsere Kulturschätze bewahrten und in ihren Universitäten und Büchereien diese antiken Schätze verwahrten, während im christlichen Abendland nur Niederschriften der Bibel anfinden ließen, wie in einer Taliban-Schule. So manch einer sollte heutzutage einmal darüber nachdenken, ob wir uns als Menschen wirklich verachten sollten oder vielmehr Gedanken darüber machen sollten wie wir ein gemeinsames Erbe für jene Regionen erhalten, die sich momentan in einer finsteren Zeit befinden.

Ich will aber gar nicht zu sehr in diese Richtung gehen, sondern eben nur ein Gefühl dafür verschaffen, dass ein dunkles Zeitalter eben nicht nur für die Menschen, die es durchleben eine wirkliche Gefahr ist, sondern vor allem eben auch für ihre Kultur, da diese vernichtet wird oder eben ausblutet.

Ein Begriff mit dem viele Menschen zunächst nichts anfangen können ist das „dunkle digitale Zeitalter“, dass sich zunächst nach einem Paradoxon anhört. Den die digitale Welt gibt es ja noch nicht so lange und bei näherer Überlegung befinden wir uns ja eigentlich inmitten darin. Als um den Jahrtausendwechsel der Begriff in einigen Kreisen aufkam, hätte jeder wohl irritiert geguckt und gesagt, dass wir bei Leibe nicht in einem dunkel Zeitalter gefangen sind. Uns geht es doch gut!

Inzwischen haben wesentlich mehr Menschen den Eindruck, dass unsere Welt kurz vor dem Kollapse steht. So irrsinnig wie dies oft ist, umso weniger kann man bestreiten, dass dies partiell vielleicht durchaus der Fall sein könnte. Und das obwohl es uns objektiv eigentlich immer noch sehr gut geht und es unsere Vorfahren zweifelsohne in ihren Leben wesentlich härter hatten.

Den das digitale Zeitalter ist von einer anderen Überlegung hergeleitet. Wenn unsere Kultur (warum auch immer) einmal untergehen wird und man in 2000 Jahren in unseren Ruinen und Gebeinen herum stochert. Was werden diese Menschen über uns vorfinden? Vermutlich wird es nicht lange dauern bis sie irgendwann merkwürdige „Grabbeilagen“ entdecken. Merkwürdige (vielleicht primitive?) Boxen, die die Menschen scheinbar mit sich herum schleppten. Merkwürdige runde oder eckige Objekte, die scheinbar in irgendwelche Geräte gesteckten wurden.

Beginnen diese dann sich diese Geräte näher anzusehen, wird man vermutlich enttäuscht sein, da diese entweder bereits durch den Zahn der Zeit völlig zerfallen sind. Selbst für den Fall, dass eine Rekonstruktion in irgend einer Form gelingen sollte, wird man darauf nur eine Folge von Nullen und Einsen finden. Was die Menschen früher einem wohl damit sagen wollten?

Vielleicht sind wir ja wirklich ein Wendepunkt in der Geschichte und das einzige, was künftige Generationen interessieren wird ist: Wie konnte das nur geschehen? Wieso haben sie sich ständig bekriegt? Wieso haben sie an ihren Resourcen einen Raubbau betrieben? Warum haben sie offensichtliche Fakten, die sie hätten beobachten können ignoriert. Und so verzweifelt man nach Antworten sucht, findet man nur Staub, Nullen und Einsen, aber nichts was es erklären würde.

In einem solchen Fall würde man auf uns zurück blicken wie auf das frühe Mittelalter in dem plötzlich die Anzahl der Informationen abbrach. Niemand wie die Römer jeden Feldzug und Klage fein säuberlich dokumentierte, sondern die Welt ins Chaos abdriftete und nur sehr zweifelhafte Quellen plötzlich existieren. Man erst Jahrhunderte danach wieder beginnt langsam eine bessere Quelllage zu kriegen.

Aber moment mal! Wie kann den das sein? Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung in der jeder von uns eine Fotokamera mit sich führt. Nahezu jeder Mensch lesen und schreiben kann und wir uns global über eine riesige universelle Datenbank austauschen. In der Hetze im Netz, mit trivialen Liebesgeflüster zusammen mit News und unseren Überlegungen hier auf Steem steht. Wir ersaufen ja förmlich in Informationen und müssen entsprechend ja auch eine Spur an Wissen für die Nachwelt hinterlassen.

Doch mal Hand aufs Herz. Wenn Du nun dein Smartphone nimmst und ein Foto von Dir schießt. Das JPEG nimmst und einen Hexeditor öffnest, würdest Du in der Lage sein jemanden zu erklären, was Du dort siehst? Selbst den meisten Informatikern würde dies auf Anhieb eher schwer fallen. Dabei handelt es sich um ein Format, dass sehr weit verbreitet ist und oft genutzt wird. Vielleicht beschleicht einem ja bereits eine Ahnung, wie schwer dies in 2000 Jahren sein könnte.

Wer nun denkt, dass es ja auch irgendwo dokumentiert sein muss und entsprechend trivial wäre eine Rekonstruktion ist, sollte nochmal überlegen (abhängig vom Alter). Schon einmal einen alten Brief aus DOS-Zeiten versucht heutzutage zu öffnen? Über eine Diskette gestolpert, aber kein Laufwerk mehr gehabt? Und das neue Windows will partout die alte Version der Software nicht mehr installieren, weil irgendwelche Bibliotheken nicht mehr zur Verfügung stehen... oder eben gar Treiber, weil ein Gerät nicht mehr unterstützt ist. Vielleicht ja auch dein Smartphone, was erst 2 Jahre alt ist und schon EOL („End of Life“) ist.

Aber wir haben ja die Wunderwaffe des Internets, eine globalen und universellen Bibliothek. Viel zu viele Menschen geben zuviele sensibele Informationen im Netz preis, die auf Ewig archiviert werden. Doch weiß jemand wirklich in welch einer Form soziale Medien wie Facebook die Daten ablegen? Scheinbar wissen sie selbst nicht immer mit wem sie überhaupt ihre Daten teilene. Und was, wenn Facebook z.B. nun am Skandal zerbricht und einfach aufhört zu existieren. Wird es jemanden geben, wer all diese Daten aufbereitet und in anderer Weise zur Verfügung stellt. Wer nun denkt, dass so etwas nie passiert, sollte nochmal fragen, ob er wirklich alle Daten von seinem StudiVZ, MySpace oder Geocities gesichert hat. Oder ist auf diesem doch erst recht kurzem zeitlichen Weg, bereits etwas verloren gegangen?

Und was, wenn aus kommerziellen oder sicherheitspolitischen Gründen unser globales Netz irgendwann zerfällt in kleinere Segmente, die sich voneinander abschotten. Um vermeidlichen „Cybergefahren“ (Ihr Worte...) zu verhindern zum Schutze der Bevölkerung und wir gar nicht mehr auf das gesamte Archiv zugreifen können? Was, wenn wir wirklich auf dem Weg sind in einem orwellschen Überwachungsstaat, der wieder beginnt fein selektiv zu bestimmen, welche Werke, Texte und Gedanken etwas wert sind und welche für immer aus dem Anlitz dieser Welt entfernt gehören? Es wäre arrogant zu denken, dass ausgerechnet unsere Generation dagegen gefeilt sein würde.

Und so wird der eine oder andere vielleicht verstehen, wieso gerade die OpenSource-Gemeinde vermeidlich voller Radikaler ist, die so darauf erpicht sind die Funktionsweise von Computer, Dateien, Formaten zu dokumentieren und mit frei verfügbaren Code zur Verfügung zu stellen. Auf das jeder sich eine Kopie davon zieht und man einen maximalen Verbreitungsgrad erreicht. Und wieso Werke mit DRM und Kopierschützen so manches Mal verteufelt werden und seien sie noch so erreichbar oder komfortabel.

Selbst unser bombastischer moderner Baustil aus Glas und Stahl sieht nur solange bombastisch aus wie wir unsere Energie reinstecken und sie regelmäßig erneuern. Hören wir damit auf, werden diese in wenigen Jahrzehnten in sich zusammen brechen und absolut gar nichts mehr von ihrem Glanz haben. Es sind eben keine soliden Pyramiden, die das ständige Mahlen der Zeit überstehen werden.

Wie bittere wäre es aber, wenn die Menschen in 2000 Jahren versuchen zu verstehen, wie wir es zu einer Umweltkatastrophe haben kommen lassen. Als Bauwerke finden sie dann die Bunker aus Beton und Stahl der Nazis, ein paar wenige Nationalarchive, die einige öffentliche Publikationen und Werke bedeutenden Künstler sammelten, aber all das Wissen und Gedanken der heutigen Öffentlichkeit im digitalen Nirwana versandet ist. Und vermutlich wird auch einiges an Bildmaterial aus dem zweiten Weltkrieg darunter sein und sie gar erschautern lassen, was wir wohl für Menschen gewesen sind.

Vielleicht ist es ja genau das, woran wir das nächste Mal denken sollten, wir wenn wir selbstgefällig in die Kamera für ein Selfi grinsen. Uns bewusst machen, dass dies nicht auf Ewig sein wird. Sich auch mal in unserer heutigen Blütezeit Gedanken darüber zu machen, was wir künftigen Generationen vermachen wollen. Den vielleicht wird es ihnen ja auch künftig Hoffnung geben zu sehen, dass auch wir an vielen Dingen verzweifelten, Liebeskummer hatten und darüber erbost waren, dass jemand an unserer Haus gepinkelt hat.

Das wir nicht auf Ewig in die Geschichte eingehen als eine Generation, die irgendwie den Planeten fast an die Wand gefahren hat und irgendwie nichts anderes hinterlassen haben als wirre Kolonen von Einsen und Nullen. Die bereitwillig alles gegeben haben um Daten zu generieren und dann Informationen in einer digitalen Demenz vergehen ließen.

Den so sehr wie wir manches Mal auf unsere Vorfahren als Primitive zurück blicken, sollten wir nie vergessen, dass sie selbst unter wesentlich schwereren Bedingungen als wir heute, sich bereits um so etwas Gedanken gemacht haben, was sie künftigen Generationen hinterlassen wollen. Nur einmal ein kleines Beispiel, was mich immer sehr nachdenklich macht und scheinbar nicht sehr bekannt ist.

Könnt ihr Euch einige japanische Bauern vorstellen, die nach einer Katastrophe Steine ins Land schleppen auf denen Dinge wie „Erinnert das Unheil der Tsunamis. Baut nicht unterhalb dieses Punktes" oder „Wenn ein Erdbeben kommt, nimm Dich vor Tsunamis in Acht." Beim Gedanken einen solchen Stein selbst mit einem Bagger zu bewegen, würde mir bereits Rückenschmerzen geben. Aber sie haben sie aufgestellt für Menschen, die sie nicht einmal kannten. Es handelt sich hier übrigens um ein Gebiet in Fukushima und hätte man aus dem Rat gelernt, wäre es vielleicht nie zu einer Harvarie gekommen. (http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/mahnung-der-vorfahren-wegsteine-in-nordjapan-warnten-vor-tsunamis-a-756622.html)

Und das sogar, obwohl sie Stein nutzen und nicht irgendwelche zerbrechlichen Datenträger, die abgesichert mit DRM und Verschlüsselungen sind in Formaten, die wir nicht verstehen und diese dann gar in einem Meer aus Belanglosigkeit ersaufen.

Mich stimmt so etwas sehr nachdenklich und deswegen wollte ich dies einmal mit Euch teilen. In der Hoffnung, dass es auch den einen oder anderen von Euch ein wenig nachdenklicher macht und sich mehr damit zu befassen, welche Daten wir künftigen Generationen als Vermächnis hinterlassen wollen. Und vielleicht wäre ja wirklich ein Stein mit einem Selfi ideal für den eigenen Karten um zu zeigen: Uns ging es gut, wir waren gar nicht so anders! Den welchen Wert dies dann für eine künftige Generation hat, dass ist wahrlich ihre Aufgabe es zu beurteilen.

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