Angeregt durch den Artikel von @oliverschmid zum digitalen Nachlass möchte ich einige Gedanken hier teilen, die mir schon länger durch den Kopf schwirren. Nur... das Thema Tod ist eben ein sehr Spezielles.
Warum eigentlich?
Alle wissen, dass wir sterben werden, nur - niemand will es wahrhaben. Und so kommt es uns komisch vor, in jungen Jahren über so etwas wie Tod, Nachlass und Patientenverfügung zu reden. Mein Mann und ich haben dies dennoch gemacht... Wie gut! Als er mit 48 Jahren nach 5 Wochen im Koma verstarb, war ich relativ gut "vorbereitet" - zumindest auf der Papierlage. Und ich kannte auch seine Vorstellungen von der Beerdigung wie z.B eine musikalische Wegbegleitung mit den Toten Hosen Nur zu Besuch und Herbert Grönemeyer Der Weg.
Wir hatten im vorhergehenden Jahr einen Freund verloren und uns deshalb intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Jedenfalls gedanklich. Die Achterbahn der Gefühle kann niemand vorher planen.Es schmerzt total und stellt das ganze Leben auf den Kopf. Andererseits hatte ich in den 5 Wochen Intensivstation so wunderbare Gespräche mit unseren beiden Kindern über das Leben und den Tod. Heilsame und sehr persönliche Gespräche, die wir vorher nie in einer solchen Intensität hatten. Ja, auch wir hatten - genau wie es die meisten tun - das Thema Tod gemieden.
Dafür war es eine große Hilfe, dass "formell" alles klar war und nicht in diesem Bereich irgendein Ärger zum Tragen kam. Ein "Vorbereiten" auf die emotionalen Folgen kann es natürlich im Vorwege nicht geben.
Aber...
Wieviel einfacher wäre es für mich gewesen, wenn der Tod ein ganz normaler Teil unserer Gesellschaft wäre? Wenn natürliche Rhythmen und Gesetze wertgeschätzt würden? Wenn ich aufgewachsen wäre in einem Land, das dem Sterben seine Würde lässt???
Kranke, alte Menschen und Pflegebedürftige werden oft in Heimen untergebracht, also aus unserem Alltag ausgegrenzt. (Dies passiert übrigens auch mit (Klein)Kindern - in diesem Fall wird allerdings das Leben, das Lebendige ausgegrenzt.)
Unser Alltag wird immer "unlebendiger" und wir sichern uns gegen alles ab - zur Freude aller Versicherungen. Wir haben wenig Zeit und Muße für essenzielle Fragen wie "Ist dies wirklich das Leben, das ich leben möchte?" Auch die Gefühle werden nicht immer gern wahrgenommen, sie sind vielleicht unangenehm oder fordern zu einer Entscheidung heraus. In der Schule haben wir nicht gelernt, wie man Gefühle ausdrücken kann. Wir haben zwar eine Leistungskultur aber keine Gefühlskultur. Und wenn dann etwas passiert, was einen - wie bei mir vor 14 Jahren - aus der Bahn wirft, ist man nicht auf diese vielen unterschiedlichen Gefühle vorbereitet. Ich war es jedenfalls nicht. Mir wurde nicht beigebracht und auch nicht vorgelebt, wie ich mit Trauer, Wut, Enttäuschung, Schuld,... umgehen kann.
Was erlebe ich stattdessen?
- Wie oft antwortet jemand ehrlich auf die Frage "Wie geht es dir?"
- Wie oft unterdrücke ich Wut oder Tränen, weil es keiner sehen soll?
- Wie oft "trösten" wir ein Kind, das sich wehgetan hat, mit "Ist doch gar nicht so schlimm." - Ich hoffe mal, dass es diesen Satz "Ein Junge weint nicht!" in keinem väterlichen Sprachschatz mehr gibt!
- Wie oft verbiege ich mich im Beruf? In der Partnerschaft? Bei den Eltern?
Eigentlich sind unterdrückte Gefühle bereits kleine Tode in uns. Wir fühlen dies nur nicht.
Wir wollen es nicht fühlen, jedenfalls das nicht, was unangenehm ist. Vor einigen Wochen ging ich am Kleingarten-Vereinshaus bei uns im Wald vorbei und sah, dass jemand die immergrüne Hecke davor mit PlastikSonnenblumen und Rosen aufgepeppt hat. Vielleicht lag es daran, dass ich nicht so begeistert von Plastikgewächsen bin - jedenfalls dachte ich: "Da erträgt hier jemand nicht die Kahlheit der Natur." Als Gärtner kenne ich den Jahreslauf und weiß, dass es erst die tiefe Winterruhe braucht, bevor das neue Leben wieder sprießen kann. Aber Abwarten müssen ist unangenehm, ein Gefühl, das ich nicht will. Was nützt das Hadern mit der Natur? Nix, die hält sich an ihre natürlichen Rhythmen, und alles braucht eben seine Zeit. Das gilt auch für uns Menschen, wobei wir uns allerdings über einige Naturgesetze hinwegsetzen können - was wir allerdings verantwortlich handhaben sollten. Bezieht sich jetzt nicht auf die Plastikblumen (;
Gefühlsachterbahn
Für meine eigene Gefühlsachterbahn nach dem Tod meines Mannes war es super wichtig, dass ich ihn im Sarg zu uns nach Hause geholt habe, und wir, Freunde und Familie, mehrere Tage Zeit hatten für den Abschied. Für Gespräche, für letzte Worte an Uwe, ein letztes Zuprosten,... Er war noch irgendwie anwesend und noch nicht "verschwunden". Für einige Freunde war es wichtig, ihn noch einmal gesehen zu haben "...ich hätte es sonst nicht glauben können." So hatten wir alle Zeit für unsere Gefühle, alles durfte sein. Es tat weh und es war gut. Der Tod war im Raum... Wir haben ihn nicht gemieden. Er gehört zum Leben dazu, zu den natürlichen Kreisläufen...
Fotoquelle: Fotolia
Öffne deine Augen
Jeder Abschied ist ein kleiner Tod, jedes Einschlafen, jedes Ausmisten, jedes Verzeihen, jede Pubertät, jeder Zahnwechsel, jedes Kochen/Braten, ja jede Verdauungsarbeit (zerstört), jeder Eisprung, jeder Samenerguss, jede Trennung, jede Körperzellteilung, jedes Haareschneiden,... Ohne dieses "end of life" könnten wir gar nicht leben - es könnte nichts Neues entstehen.
Ich möchte euch deshalb ermuntern, zusätzlich zu den (digitalen) Nachlassregelungen (danke Oliver) den kleinen Toden (?) in eurem Alltag mehr Beachtung zu schenken und diese Gefühle bewusst wahrzunehmen. Dann könnt ihr ein Gespür dafür entwickeln, dass Krankheit, Abschied, "Zerstörung" und Sterben zum Leben dazu gehören und es sogar bereichern können: Neue Räume und Möglichkeiten eröffnen sich. Und vielleicht hast du auch schon die Erfahrung gemacht, dass schmerzhafte Ereignisse im Rückblick auf einmal Sinn machen. Der Tod meines Mannes hat meinem Leben eine völlig neue Richtung gegeben und mir mehr Bewusstheit für den Augenblick geschenkt. @pawos hat dies in seinem 20 Fakten Post super schön auf den Punkt gebracht: mein Tag hat so viele Stunden, wie ich bewußt wahrnehmen kann.
Last but not least ein LebensTipp von Mister Hades:
Wenn du stirbst fragt dich niemand, ob du reich und erfolgreich warst, schlank und schön, katholisch oder evangelisch, Star oder Couchpotatoe...
Ich wünsche euch allen ein bewusstes facettenreiches Leben!
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